Die Flussniederung bei Rhinow

Eine archäologische Baubegleitung zwischen November 2019 und Jannuar 2021.
Der Unterlauf des Rhins bei Rhinow ist eine optisch und ökologisch traurige Angelegenheit - gerade, überall gleich breit, einheitliche künstliche Ufer. Zur Wasserstandregulierung dienen Wehre, Fischwanderungen sind unmöglich. Heutzutage werden für die wandernden Arten meist Fischtreppen gebaut, mit denen die Wehre umgangen werden können. In Rhinow wurde eine Alternative gewählt, bei der ein verlandeter Altarm wieder an den Flusslauf angeschlossen wurde. Zusätzlicher Nutzen sollte ein renaturiertes, ursprüngliches Stück des Flusses sein.
Das Arbeitsgebiet war eine Altarmschleife nördlich der Stadt. Weder aus dem alten Flusslauf noch von der angrenzenden moorigen Wiese waren bislang archäologisch relevante Funde bekannt geworden, wohl aber vom südlich an den Altarm angrenzenden Stadtgebiet im ansteigenden Gelände von der Niederung zur Grundmoränenfläche des Rhinower Ländchens. Hier sind Siedlungsflächen des Neolithikums, der Bronzezeit und römischen Kaiserzeit sowie des slawischen und deutschen Mittelalters nachgewiesen. Aufgrund dieser Fundplätze und einiger Sandkuppen längs des Altarms, die als Verdachtsflächen ausgewiesen waren, mussten die Baggerarbeiten am Altarm archäologisch begleitet werden. Eine ähnliche Sandkuppe außerhalb der Arbeitsfläche zeigte schon vor etlichen Jahren, wie relevant diese leicht erhöht liegenden Flächen sein können; bei der Verlegung einer Gasleitung kam ein kleiner Ausschnitt einer meso- bzw. neolithischen Siedlung zum Vorschein, u.a. mit Keramik der Havelländischen und Kugelamphoren Kultur.

Leider begannen die Bodenarbeiten im Dezember. Da der Altarm bereits weitgehend verlandet und eigentlich nur noch als Schilfdickicht sichtbar war, dadurch aber vielen Vögeln Brutmöglichkeiten und etlichen Insekten, Amphibien und Kleinsäugern Unterschlupf bot, sollten in einem ersten Schritt neben dem Altarm so schnell wie möglich neue Schilfflächen wachsen. Also wurde in zwei Streifen die Grasnarbe um 20 bis 30cm abgetragen, um dann den Schlamm aus dem Altarm mit den Schilfwurzeln hier abzulagern und neues Schilf anzusiedeln. Der freigeräumten Torfboden, in dem sich sofort die ersten Pfützen bildeten, musste schnellstens begutachtet und auf relevante Überreste der Vorzeit untersucht werden, u.a. auch mit Metalldetektoren.
Auf den beiden Flächen, unter gehörigem Zeitdruck und bei Bodenfrost, wurden in dieser ersten Phase drei Befunde dokumentiert und zusammen 1037 Keramikscherben sowie 13 Hölzer, meist Pfosten, und ein Bronzebeil geborgen.
Bis zum Ende der archäologischen Untersuchung im Jannuar 2021 wuchs die Fundmege auf 1161 Keramikscherben, 114 Hölzer, 54 Metallobjekte und 12 Steinartefakte an. Vier Objekte aus Metall und Holz werden im Folgenden vorgestellt.

Das bereits erwähnte Bronzebeil (siehe Abb. 2) gehört zur Gruppe der Lausitzer Tüllenbeile. Es ist ein Beil, keine Axt, weil es nicht mit einem Loch geschäftet ist, sondern der geknickte Holzschaft in der Tülle steckt. Beile wurden im Verlauf der Bronzezeit kontinuierlich weiter entwickelt - vom einfachen flachen Kupfer- oder Bronzestück mit Schneide, die noch ganz den neolithischen Steinbeilen entsprechen und genauso geschäftet wurden, über verschiedene Zwischenstufen bis zum Tüllenbeil in der Jung- und Endbronzezeit. Die Lausitzer Typen sind lang und schmal, die Schneide unseres Exemplar ist lediglich 3,6 cm breit bei einer Gesamtlänge von 13,2 cm. Es wiegt 284,3 g und ist leicht beschädigt. Der Tüllenrand ist ausgebrochen und es fehlt die charakteristische Bronzeöse, mit der das Beil zusätzlich in der Tülle fixiert war. Vermutlich traf ein Schlag, etwa beim Holzmachen, das Ziel nicht richtig, das Beil rutsche seitlich ab, der Rand brach ab und die Öse wurde abgeschert. Unter dieser Adresse kann das Objekt dreidimensional bewegt und detailiert besichtigt werden.
Anders als das Beil, ist die gefundene Keramik, überwiegend grobe Siedlungskeramik, nicht einfach zu datieren; die mögliche Spanne reicht von der Jungsteinzeit bis zur Eisenzeit. Dagegen waren einige der gefundenen Holzpfosten echte Treffer. Zusammen mit den geborgenen Hölzern im Dezember konnten, nachdem die Schutzzeite der Bodenbrüter abgelaufen war, vom Sommer bis zum Jannuar 114 Hölzer geborgen werden. Zur dendrochronologischen Untersuchung kamen 52 Proben, von denen 18 eine Datierung lieferten.

Besonders die Pfosten aus 2 konzetrierten Guppen im und am Altarm konnten eindeutig in die Bronzezeit datiert werden. Die beiden Gruppen liegen etwa 130m von einander entfernt. An einer Stelle ließen sich Pfosten von beiden Uferseiten und aus der Mitte des Altarms bergen, an der zweiten Stelle waren ebenfalls Pfosten über die Flussbreite gesetzt, zusätzlich war es möglich, auf dem Grund liegende Bohlen und Balken zu dokumentieren und Proben zu nehmen, da für wenige Tage der Abschnitt trocken war und begangen werden konnte. Alle geborgenen Posten waren aus Eichenstämmen gefertigt; es gibt aber deutliche Unterschiede im Detail, wie im Abb. 3 zu sehen ist und wie in einer 3-dimensionalen Gegenüberstellung erläutert wird.
Eine der Pfostengruppen brachte 25 geborgene Hölzer, die meisten davon erkennbare Pfosten, von denen 9 dendrologisch datiert wurden. 8 waren im Zeitraum von 1079 bis 1076 v.u.Z. geschlagen worden, der 9. um 1091. Alle stammen also aus der Jungbronzezeit, alle waren aus etwa 10-16cm dicken Stämmen gearbeitet und die Spitze sorgfältig dreieckig zugeschlagen.
Aus der 2. Gruppe stammen 11 Pfosten von denen es 5 Dendrodatierungen gibt. Gefällt wurden sie im Zeitraum von 1517 bis 1478 v.u.Z. Damit sind sie deutlich älter und stammen aus der Mittleren Bronzezeit. Das verwendete Holz ist wieder Eiche, aber es kamen verschieden starke Stämme zur Verwendung, die meist einfach oder mehrfach gespaltet wurden. Die dadurch entstanden Pfosten hatten eine runde, halbrunde oder dreieckige Form, die Spitze war aber immer sorgfältig rund zugearbeitet.
Beide Gruppen werden als Unterbau von Brücken oder einfacheren Stegen interpretiert, Möglicherweise waren auch Wege von diesen Brücken durch das Moorgebiet mit Bohlenwegen befestigt. Ein Hinweis darauf ist ein abseits des Altarms aus dem Moorboden geborgener Pfosten mit der gleichen Bearbeitung und der dreieckigen Spitze der jungbronzezeitlichen Pfosten und einem identischen Datum.

Alle Stellen, die bearbeitet werden sollten, wurden vor und während der Bodeneingriffe begangen und mit einem Metalldetektor kontrolliert. Das Fundspekturm reichte von neuzeitlichem Metallmüll über stark korrodierte, nicht datierbare Eisentrümmer bis zu wenigen interessanten Objekten, wie etwa das in Abb. 4, das beim Anlegen eines kleinen Teiches entdeckt wurde. Ohne Zweifel ein Löffel, aber mit, für moderne Augen ungewöhnlichen Proportionen: ein dünner Griff sitzt an einer sehr breiten Laffe. Die Länge liegt bei etwa 16cm; da der Griff aber etwas geknickt und die Laffe etwas gestaucht ist, dürfte das Stück im Originalzustand bis zu einem Zentimeter länger gewesen sein. Das Material ist deutlich oxidiert, aber nicht so aufgeblüht wie bei Eisenrost, und weißgrau bis graubraun. Mit einer ungefähren Dichte von 7,12 g/cm³ ist es deutlich leichter als Silber.
Löffel dieser Art waren - neben vielen anderen Formen - in der römischen Kaiserzeit im Gebrauch und römische Gegenstände fanden in dieser Zeit vermehrt auch ihren Weg ins germanische Barbaricum. Oft wurden Gegenstände von Germanen, die im römischen Militär gedient hatten und als Veteranen in die Heimat zurückkehrten, mitgebracht, oft stammten Metallobjekte von Beutezügen über den Limes und sicherlich wurden solche Dinge auch durch Händler importiert. Es könnte also ein römischer Löffel, eine Ligula sein. Aber auch in der Renaissance, beginnend im 15. Jh. u.Z mit einer Rückbesinnung auf die klassische Kultur, tauchten solche römischen Löffel wieder auf und wurden benutzt. Zur Klärung der Datierung wäre eine Metallanalyse hifreich, eine belastbare Datierung bleibt aber den Fachleuten vorbehalten. In einem Sonderheft der Reihe "Archäologie in Deutschland" schreibt B. Niemeyer u.a. in einem kurzen Kapitel über Ligulae und eine Ligula mit Knopfende aus dem Manchinger Schatzfund.
Wie das Tüllenbeil und die Holzpfosten, kann auch der Löffel als 3d-Objekt hier gedreht und gewendet werden.


Literatur: B. Niemeyer, 2018, AiD Sonderheft Römische Silberschätze - 150 Jahre Hildesheimer Silberfund

Text und Fotos: U. Bauer, 2024

Dieses Werk ist unter der Lizenz CC-BY-SA lizenziert.

 
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Abb. 1: Planum 1, der freigelegte Moorboden. In der abgestecken Fläche gab es etwas Keramik, mehrere Pfosten und einen Feuerstellenrest.

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Abb. 2: Tüllenbeil aus Bronze.

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Abb. 3: Zwei Holzpfosten aus dem Altarm.

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Abb. 4: Ein römischer oder Renaissance-zeitlicher Löffel.

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